Die nationale Biodiversitätsstrategie (NBS) strebt auf fünf Prozent der deutschen Waldfläche eine natürliche Waldentwicklung an. Doch nicht nur rechtlich geschützte Gebiete leisten ihren Beitrag zu diesem Ziel: Auch Flächen außerhalb von Schutzgebieten – beispielsweise nicht genutzte Bereiche im Privatwald – werden laut NBS dazu gezählt. Die Arbeitsgemeinschaft Rohholzverbraucher (AGR) und die Deutsche Säge- und Holzindustrie (DeSH) fordern deshalb, dass diese Flächen in die aktuell im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz durchgeführten Berechnungen zur Bestimmung der Fläche mit natürlicher Waldentwicklung einbezogen werden.
Wie viel Waldfläche in Deutschland entwickelt sich ohne menschlichen Einfluss auf natürliche Weise? Welchen Effekt haben diese nutzungsfreien Waldgebiete auf Naturschutzziele und ökonomische Entwicklungen? Diesen Fragen ging das Forschungsprojekt "Natürliche Waldentwicklung als Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NWE5)" nach. Die heute vorgelegten Ergebnisse erwecken den Eindruck, Deutschland erfülle die selbst gesteckten Ziele seiner nationalen Biodiversitätsstrategie nicht. Mit knapp 2 Prozent fand allerdings im Endergebnis nur ein Bruchteil der als nutzungsfrei erfassten Fläche Beachtung.
Bei der Berechnung der nicht genutzten Waldfläche berücksichtigten die Forscher von NWE5 im Grunde nur rechtlich geschützte Gebiete wie Nationalparks. Dabei heißt es in der Biodiversitätsstrategie der Bundesrepublik explizit: „Zum angestrebten Flächenanteil von Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung tragen sowohl Schutzgebiete als auch Flächen außerhalb von Schutzgebieten bei.“
Für Leonhard Nossol, Präsident der AGR, ist das Ergebnis eindeutig: „Das Ziel der Biodiversitätsstrategie auf fünf Prozent der deutschen Waldfläche eine natürliche Entwicklung zu gewährleisten, ist mehr als erfüllt.“ Mehr als 18 Prozent der deutschen Waldfläche stehen unter strengem Schutz und dürfen nur eingeschränkt bewirtschaftet werden. Darüber hinaus verzichten viele der zwei Millionen deutschen Waldeigentümer freiwillig – aus ökologischen, ideellen oder auch rein wirtschaftlichen Gründen – ganz auf die Bewirtschaftung eines Teils ihres Eigentums. Nossol kritisiert deshalb die Haltung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) als Auftraggeber der NWE5-Studie: „Die tatsächliche Fläche, auf der in Deutschland auf eine Nutzung des Waldes verzichtet wird, liegt weit über der, die das BfN als solche anerkennen möchte.“ So geht man beispielsweise in Rheinland-Pfalz von 52.000 Hektar oder sechs Prozent der Waldfläche aus, die zusätzlich zu den rechtlich bestehenden Schutzgebieten nutzungsfrei sind.
Für DeSH-Präsident Steffen Rathke ist klar, dass die Wälder auch ohne umfangreiche Nutzungseinschränkungen naturnäher und artenreicher werden. „Anstatt weitere großräumige Schutzgebiete zu planen, sollten Bundesregierung und Bundesländer sich auf die Förderung einer effizienten und nachhaltigen Nutzung unserer heimischen Ressourcen konzentrieren“, so Rathke. „Das Projekt ist ein Anfang, um herauszufinden, wie viele der deutschen Wälder nicht bewirtschaftet werden. Gewissheit wurde jedoch nicht geschaffen, da entscheidende Daten nicht veröffentlicht beziehungsweise erst gar nicht in die Bilanz einbezogen wurden“, so Rathke weiter.
Die nachhaltige Nutzung nachwachsender Ressourcen ist besonders im Hinblick auf den Klimawandel von übergeordnetem gesellschaftlichen Interesse. Allein der potenziell ökonomische Verlust für die berücksichtigten 1,9 Prozent Waldfläche wird von den Forschern mit 3,9 Milliarden Euro beziffert. Die deutsche Forst- und Holzwirtschaft leistet folglich mit den derzeit sich selbst überlassenen Waldflächen bereits einen in ökologischer wie ökonomischer Hinsicht bedeutsamen Beitrag zum Umwelt- und Naturschutz. Bei einem Nutzungsverzicht auf mehr als fünf Prozent der Waldfläche läge der Verzicht bei weit über 10 Milliarden Euro.
Die Wirksamkeit und die Auswirkungen verschiedener Schutzbemühungen auf die Biodiversität lassen sich bisher nicht eindeutig nachweisen und bewerten. Darüber hinaus fehlen Studien, welche die Wirkung der bestehenden Schutzgebietskulisse in Deutschland analysieren. Stillgelegte Waldflächen als Hauptindikator für erfolgreichen Naturschutz im Wald anzusehen ist ein Irrweg: Die Naturnähe und die Biodiversität der deutschen Wälder haben sich in den letzten Jahrzehnten statistisch nachweislich deutlich erhöht. Dies verdeutlicht der Indikatorenbericht der Bundesregierung zur Nationalen Biodiversitätsstrategie 2010, der dem deutschen Wald mit über 80 Prozent des erreichbaren Höchstwertes den besten Teilindikatorwert aller Flächennutzungen und einen signifikanten Anstieg der Biodiversität bescheinigt.
AGR und DeSH fordern die Bundesregierung deshalb auf, die Rohstoffversorgung der heimischen Holzindustrie sicherzustellen und von weiteren Nutzungsbeschränkungen abzusehen. Vor allem die Konzentration auf öffentliche Wälder bei der Ausweisung von Totalschutzgebieten bereitet den Verbänden große Sorge, sichert doch gerade deren kontinuierliche Bewirtschaftung die Versorgung von Industrie und Gesellschaft.
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