Wir wollen die Fixierung auf das Studium durchbrechen



Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Otto Kentzler, spricht in der Südwestpresse über Meisterbriefe, die soviel wert sind wie ein Bachelor, Koalitionspartner, die Handwerksbetrieben die Flexibilität rauben wollen, und das deutlich verbesserte Image des Handwerks.

Herr Kentzler, die Koalitionsverhandlungen gehen in die entscheidende Runde. Sieht das Handwerk seine Interessen genügend berücksichtigt?
Otto Kentzler:
In den Vorlagen der Arbeitsgruppen finden wir uns wieder. Union und SPD haben erkannt, wie wichtig die Beschäftigung im Handwerk ist.
Würden Sie gezielte Steuererhöhungen akzeptieren, um bestimmte Dinge zu finanzieren?
Kentzler:
Nein. Der Staat hat Rekordeinnahmen. Wichtig wäre es, die steuerliche Abschreibung von Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung im Rahmen der Energiewende zu ermöglichen. Das hätte die Wirkung eines Konjunkturpakets und würde durch die Aufträge letztlich mehr und nicht weniger Steuereinnahmen bringen.

Was würde ein Mindestlohn von 8,50 Euro für das Handwerk bedeuten?

Kentzler:
Wir haben im Handwerk in mehreren Branchen Tarifverträge mit einem höheren Mindestlohn vereinbart. Seit kurzem haben auch die Friseure einen Tarifvertrag, der in Stufen ab August 2015 8,50 Euro in West und Ost bringt. Ein flächendeckender Mindestlohn führt zu Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit. Es muss regionale und branchenbezogene Differenzierungen geben. Ich sehe zudem eine Gefahr für die Tarifparteien, wenn sie den Mindestlohn nicht selbst aushandeln. Dann könnten manche Unternehmen ihre Tarifbindung aufgeben und sich nur noch am niedrigeren Mindestlohn orientieren. Ich hoffe, dass die Koalitionspartner einen Kompromiss finden, der keine Arbeitsplätze gefährdet.

Was halten Sie von den Plänen, Zeitarbeit und Werkverträge einzuschränken?

Kentzler:
Das Handwerk braucht Zeitarbeit, um Auftragsspitzen abzuwickeln. Unsere Unternehmen gehen sehr verantwortungsvoll mit diesem Instrument um. Und Werkverträge sind im Handwerk Alltag - wer eine Wohnung gemalert bekommt, kauft eine Werksleistung ein. Höhere Hürden wären da grausam. Wir haben selbst großes Interesse daran, dass bei beiden Instrumenten Missbrauch verhindert wird.

Es ist viel vom Ärztemangel auf dem Land die Rede. Müssen die Bürger dort auch befürchten, in 10 oder 20 Jahren keinen Klempner oder Metzger mehr zu finden?

Kentzler:
Das erwarte ich nicht. Das Handwerk ist sehr in den Regionen verwurzelt. Allerdings haben wir Probleme, genug Nachwuchs zu finden. Gerade im ländlichen Raum müssen Lehrlinge oft weit zur Berufsschule fahren. Ich habe in meinem eigenen Betrieb aber die Erfahrung gemacht: Wer immer ordentlich ausbildet, bekommt allein durch die Mund-zu-Mund-Propaganda neue Bewerber. Wichtig ist, dass wir uns verstärkt um den Einzelnen bemühen.

Kommen die Lehrlinge morgen aus Spanien und Portugal, oder bleibt das die große Ausnahme?

Kentzler:
Sie sind herzlich Willkommen! Aber bisher sind es nur wenige, denn die jungen Leute gehen nicht gerne von zu Hause weg. Damit kämpfen wir ja schon im Inland. Mancher Ausbildungsplatz kann nicht besetzt werden, weil die Jugendlichen nicht mobil sind. Beim Studium ist es ganz normal, weiter wegzugehen. Dabei bekommen Lehrlinge eine ähnliche Unterstützung, die Berufsausbildungsbeihilfe. Das ist nur nicht so bekannt.

Fühlt sich das Handwerk benachteiligt, weil alle an die Uni wollen?

Kentzler:
Immer mehr Eltern wünschen, dass ihre Kinder Abitur machen und studieren. Darunter leidet die berufliche Bildung. Gerade an Gymnasien wird viel zu wenig darüber informiert. Wenn Studienaussteiger dann doch zum Handwerk finden, sind sie immer wieder erstaunt, auf welchem hohen Niveau viele Berufe stehen. Unser Ziel ist es, die Fixierung auf ein Studium zu durchbrechen. In Deutschland und Europa wurden berufliche und akademische Bildung gleichgestellt. Das muss nur mehr bekannt werden. 2014 gibt es die ersten Meisterbriefe, auf denen die Gleichwertigkeit mit dem Bachelor-Abschluss mit draufsteht. Ich freue mich darauf. Denn es doku-mentiert, dass die Kompetenzen junger Meisterinnen und Meister auf einer Stufe mit denen von Akademikern stehen.

Ein Blick auf die andere Seite des Berufslebens: Tut das Handwerk genug, um Ältere bis zum normalen Rentenalter zu beschäftigen?

Kentzler:
Da erinnere ich mich gut an ein Gespräch mit IG-Metall-Chef Berthold Huber über die Rente mit 67. Ich habe gesagt: Wir sind in der Lage, das zu organisieren. In Berufen, die Wind und Wetter ausgesetzt sind, wird das schwieriger. Aber heute wird die Arbeit mit modernen Hilfsmitteln unterstützt, dazu kommen gemeinsam mit Krankenkassen organisierte Gesundheitsschulungen, das macht es leichter. Außerdem qualifiziert das Handwerk verstärkt auch Ältere. Da meinte Huber: Das Handwerk mit seinen kleinen Betrieben kann das schaffen. In der Tat: Die Zahl der älteren Beschäftigten im Handwerk steigt. Aber in der Industrie beklagte Huber immer kürzere Taktzeiten, die für Ältere nicht mehr zu schaffen seien.

Zu den einprägsamsten Projekten Ihrer Zeit als Handwerkspräsident gehörte eine mutige Werbekampagne. Was hat sie gebracht?

Kentzler:
Sehr viel Anerkennung in der Politik und in der Öffentlichkeit. Unsere Umfragen zeigen, dass die Akzeptanz des Handwerks in der Bevölkerung deutlich zugenommen hat. Besonders wichtig für uns ist, dass der Meister nach wie vor höchs-tes Ansehen genießt. Wir wollen die Imagekampagne um fünf Jahre verlängern und künftig die einzelnen Betriebe mehr einbinden.

Der Meister wird ausgerechnet von der EU in Frage gestellt.

Kentzler:
Ja, und das ist für uns unverständlich: Einerseits wird unsere berufliche duale Ausbildung gelobt, die ja am Meister hängt. Andererseits will man einen Marktzugang, ganz ohne jede Qualifikation. Das ist ein Angriff auf unsere duale Ausbildung und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Da verteidigen wir uns. Die Meisterausbildung sorgt im Übrigen auch für Verbraucherschutz.

Zum Jahresende geben Sie Ihr Präsidentenamt nach neun Jahren ab. Was war Ihr größter Erfolg?

Kentzler:
Intern die Reform unserer Organisation, die in einem einheitlichen Votum für die Imagekampagne gipfelte. Politisch war der größte Erfolg die Gleichstellung der beruflichen und der akademischen Bildung. Und wir haben es geschafft, unser Gewicht unter den vier Spitzenverbänden der Wirtschaft zu steigern. Ein ganz praktischer Erfolg ist die Ausweitung der Absetzbarkeit von haushaltsnahen Handwerkerrechnungen.

Was hätten Sie gerne noch erreicht?

Kentzler:
Die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Und den Abbau der kalten Progression bei der Einkommensteuer zumindest in Schritten, weil derzeit Tariferhöhungen wieder aufgefressen werden.

Am 5. Dezember wird Ihr Nachfolger gewählt. Es gibt gleich drei Kandidaten. Wer hat die besten Chancen?

Kentzler:
Ich denke, jeder der Kandidaten wird das Handwerk umfassend und mit so viel Begeisterung vertreten wie ich. Durch die vielen Termine, die ich in den Regionen gemacht habe, wurde die Akzeptanz unserer Organisation deutlich gesteigert. Handwerk - das sind viele kleinere Betriebe, die erwarten, dass man sie mitnimmt.

Interview: Dieter Keller

Autor:
Holzi am 27. Nov. 2013 um 11:38 Uhr
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