Gute Auszubildende verzweifelt gesucht: Was teilweise heute schon spürbar ist, könnte sich bis 2020 für das Tischlerhandwerk zu einem großen Problem entwickeln. Den Folgen des demographischen Wandels und der stetig schrumpfenden Zahl von Schulabgängern gilt es entgegenzuwirken. Dieses Thema stand Mitte März in Essen für die rund 140 Teilnehmer der diesjährigen Berufsbildungstagung im Mittelpunkt.
Von ersten Erfahrungen mit der Weiterbildung zur CNC-Fachkraft bis zum erfolgreichen Modellversuch mit dem Ganztagsunterricht in der gesunden Schule (GigS) – neben anschaulichen Praxisbeispielen aus dem Betriebs- und Schulalltag drehte es sich bei der Tagung vor allem um die richtige Ansprache und den Umgang mit Jugendlichen. Während Sabine ter Braak vom Berufskolleg des Kreises Olpe die Möglichkeiten und Grenzen der Schulsozialarbeit aufzeigte, demonstrierte Theaterregisseur Simon Steimel, wie Konflikt- und Gewaltsituationen zwischen Jugendlichen gelöst und vermieden werden können.
Wie lassen sich junge Menschen für das Tischlerhandwerk begeistern und wie werden sie optimal auf den Beruf vorbereitet? Mit dem Berufsorientierungsordner „Tischler – Der kreative Beruf mit Zukunft“ und der bundesweiten Nachwuchskampagne „Tischler vs. Schreiner“ hat der Fachverband des Tischlerhandwerks NRW zwei wesentliche Bausteine zur Nachwuchsförderung auf den Weg gebracht. „Der Berufsorientierungsordner wurde im Laufe des vergangenen Jahres von fast allen Innungen genutzt, um Kontakte mit den jeweiligen Allgemeinbildenden Schulen zu knüpfen“, sagte Dieter Roxlau, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. „Diese Kontakte heißt es nun zu pflegen und auszubauen.“
Um die Jugendlichen zu erreichen und richtig mit ihnen umzugehen, kommt es darauf an, sie und ihre Lebenswelt zu verstehen – „was besonders aus der Sicht eines Erwachsenen oft nicht leicht fällt“, betonte der Diplom-Sozialwissenschaftler Rainer König. In seinem Vortrag beleuchtete er die neurobiologischen Aspekte bei Heranwachsenden, den Einfluss der Medien und die Suche nach Halt und Sicherheit. „Das Gehirn von Jugendlichen funktioniert anders als bei Erwachsenen“, sagte König. „Vor allem die Hirnareale für die Handlungsplanung und die Ich-Kontrolle sind noch nicht voll ausgereift.“ Dies führe dazu, dass die Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen und Moral zu empfinden erst im Alter von 19 bis 20 Jahren ausgeprägt sei. Hinzu komme, dass Jugendliche durch Hormonschübe in der Pubertät die Realität verzerrt wahrnehmen und einen anderen Schlafrhythmus als Kinder und Erwachsene aufweisen. In der Regel werden sie ein bis zwei Stunden später müde – und werden folglich später wach. „Dieses normale ‚Protest‘- und Schlafbedürfnis sollten Erzieher zumindest immer im Hinterkopf haben“, so König.
Darüber hinaus hat sich in den vergangenen Jahren die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen grundlegend verändert. „Die universale und für Erziehungsberechtigte fast nicht mehr zu kontrollierende Verfügbarkeit von elektronischen Medien hat rapide zugenommen“, betonte König in seinem Vortrag. „Die daraus resultierenden Konzentrationsprobleme und die schwindende Kommunikationsfähigkeit gilt es im Schul- und Ausbildungsalltag ernst zu nehmen.“ Doch noch etwas beeinflusst nachhaltig den Alltag von Jugendlichen: die Risikogesellschaft. Die Fragen nach Ausbildungs- und Arbeitsplatz, sicherem Einkommen aber auch Umweltproblemen machen die Zukunft für sie zu einer sehr unsicheren Variable. „Dies spiegelt sich in einem Weltbild der Jugendlichen, das sich an alten Werten und Regeln orientiert – man könnte gar von einer Renaissance konservativer Werte sprechen“, so der Kommunikationstrainer. Laut der aktuellen Shell-Studie stehen in der Tat Werte wie Familie, Treue, Fleiß und Streben nach Sicherheit bei vielen jungen Menschen hoch im Kurs. Rainer König: „Für den Umgang mit Jugendlichen heißt das, ihnen nicht autoritär aber dennoch mit eindeutigen Regeln und Klarheit zu begegnen.“
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